Narges Rashidi: Vom Flüchtlingsmädchen zur Schauspielerin in Hollywood - WELT (2025)

Sie wurde im nachrevolutionären Iran geboren, zog für die Liebe nach L.A. und macht als Schauspielerin in Deutschland Karriere. Narges Rashidis Leben klingt nach Hollywood-Märchen. Ein Wort hasst sie.

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Narges Rashidi schaut zum Kellner und sagt „I Am Divine“ (Ich bin göttlich). Sie meint nicht sich selbst, sondern den Apfel-Rote-Beete-Saft, den sie bestellt. In ihrem Lieblingsrestaurant Café „Gratitude“, einem angesagten Veganer in Los Angeles, haben alle Gerichte lebensbejahende Namen. „I Am Awesome“ (Ich bin fantastisch) – Auberginen Panini oder „I Am Magical“ (Ich bin zauberhaft) – Veggie Burger. Selbstbewusstsein wird hier großgeschrieben. Sogar auf den Toiletten. „This Is What Love Looks Like“ (So sieht Liebe aus) steht in großen Lettern auf dem Spiegel.

„Hier lebt man ganz anders, so gesund und spirituell“, sagt Narges Rashidi. „Da ist mehr Rock ’n’ Roll“. Hier ist L.A., wo man um fünf Uhr morgens aufsteht, um ins Fitnessstudio zu gehen. Da ist Deutschland, wo man in Städten wie Berlin, um die Uhrzeit oft erst ins Bett fällt. In L.A. lebt sie. In Deutschland, wo sie aufwuchs, arbeitet sie als Schauspielerin. Soeben hat sie sich die langen Haare abschneiden lassen. Jetzt streicht sie durch den noch ungewohnten Pagenkopf, der ihr Gesicht mit den feinen persischen Züge noch besser zur Geltung bringt.

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Noch ist dieses Gesicht nicht so vielen bekannt. In Independent-Filmen war sie vor allem bisher zu sehen und mitunter in TV Rollen, in „Schimanski – Schicht im Schacht“ mit Götz George (2008), in „Nachtschicht – Geld regiert die Welt“ (2012) mit Ben Becker. In der Sat.1-Serie „Auf Herz und Nieren“ bekam sie ihre erste Hauptrolle. Im selben Jahr besetzte Til Schweiger sie in „Kokowääh 2“.

Gespräche mit Prostituierten

Ab diesem Donnerstag spielt sie nun in einem Kinofilm die Hauptrolle. Als alleinerziehende türkische Mutter kämpft sie in „Von Glücklichen Schafen“ mit Anna Thalbach und Benno Führmann in Nebenrollen gegen die Traumata ihrer Vergangenheit. Um diese zu vergessen, erzählt sie ihren Kindern ein Märchen von glücklichen Schafen. Von Hammeln, die naive Schafe verführen. Und von Kröten, die ihnen Gewalt antun. Auch aus der Gegenwart macht sie ein Märchen. Um ihre Familie zu ernähren, arbeitet sie als Prostituierte. Sohn und Tochter erzählt sie, dass sie Krankenschwester ist. Als die Fabel auffliegt, muss sie sich der Wahrheit und der Vergangenheit stellen.

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Um sich vorzubereiten auf die Rolle, führte Narges Rashidi viele Gespräche mit Prostituierten. „Eine emotionale Achterbahn“ sei das gewesen, sagt sie. Aber gerade das sei ja auch das Reizvolle an ihrem Beruf, das Fordernde und die Dramatik.

Auch ihre eigene Biografie ist geprägt von dramatischen Ereignissen: 1980 wurde sie im nachrevolutionären Iran geboren. Der Vater war Oberst in der Armee. Die Mutter Hausfrau. Narges Rashidi und die drei älteren Brüder erlebten den Iran-Irak-Krieg in Teheran, die Bombenangriffe im Keller. Wenn es mal wieder besonders schlimm war, drehten die Eltern den Kassettenrekorder laut auf, taten so, als feierten sie – um die Kinder abzulenken, erzählt sie. 1987 gelang der Familie schließlich die Flucht über die Türkei nach Deutschland. An vieles von damals erinnert sie sich nicht mehr. „Ich habe das lange verdrängt, weil ich so beschäftigt war damit, Deutsch zu lernen.“

Wegen der Liebe in L.A.

Narges Rashidi wuchs in der hessischen Kleinstadt Bad Hersfeld auf. Im örtlichen Freilichttheater sah sie Faust und den Sommernachtstraum. Ihre Liebe fürs Geschichtenerzählen war geweckt. „Ich habe mit den Schauspielern geredet, beobachtet, was sie gemacht haben. Das war mein Traum.“ Nach dem Abitur lernte sie Schauspiel an der Etage in Berlin. Schon während der Ausbildung drehte sie Independent-Filme. Darunter „A2Z“, für den sie 2007 auf dem New York Independent Film and Video Festival den Preis als Beste Nachwuchsschauspielerin erhielt. Es folgten Rollen in Hollywood-Blockbustern wie „Speedracer“ von den Wachowski-Brüdern, oderAeon Flux“ mit Charlize Theron.

Vor dreieinhalb Jahren zog sie dann nach Los Angeles. „Nicht wegen Hollywood.“ Das betont sie. In L.A. ist sie der Liebe wegen. Ihr Mann, der ehemalige Profi-Tennisspieler Christian Straka, 33, ist ein begehrter Coach. Trainiert Hollywoodgrößen wie den Produzenten David Lancaster und den Gitarristen James Valentine von Maroon 5.

Barfuß-Hochzeit am Strand von Malibu

Rashidi und Straka kennen sich seit Kindertagen, in Bad Hersfeld waren sie Nachbarn. Mit sechzehn zog er nach Marbella, ins Tennis-Zentrum seines Mentors, Klaus Hofsäss, wo auch Boris Becker trainierte. Rashidi und er verloren sich aus den Augen, über Facebook fanden sie sich wieder. Im November 2009 verabredeten sie sich zum Kaffee. Drei Wochen später machte er ihr einen Heiratsantrag.

Er: „Würdest du mich heiraten?“. Sie: „Aber wo ist denn der Ring?“ Er, gerade aus Israel zurück, nahm sein Armband ab, ein Reisesouvenir, friemelte die beiden silbernen Drahtringe, die es zusammenhielten, auseinander und gab ihr den einen. „Ich habe meinen ganz lange getragen“, sagt sie.

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Auch der Rest klingt nach Hollywood: Die Barfuß-Hochzeit am Strand von Malibu, das Jawort, während zwei Delfine aus dem Wasser springen, der Regenbogen am Himmel. „Das klingt total kitschig, war aber wirklich so.“ Es ist ihr jetzt fast ein bisschen peinlich, dass sie das erzählt.

Leben, Liebe in L.A., Karriere in Deutschland – kein einfaches Modell. Sechsmal im Jahr setzt Narges Rashidi sich in den Flieger nach Deutschland. Dann führt sie eine „FaceTime-Ehe“, wie sie sagt. Das funktioniere gut. Viele Castings könne man heute auch online machen. Ihre Berliner Agentur Eberstein habe deshalb auch kein Problem mit dem interkontinentalen Berufspendeln.

Seit Kurzem hat Rashidi nun die Greencard und mit The House of Representatives auch eine Agentur in L.A. Bei Paramount wird sie inzwischen wiederholt zu Castings eingeladen. Der Fokus ihrer Karriere aber liege in Deutschland. In L.A. sei alles eine Nummer härter. Fünftausend Menschen bewerben sich da für eine winzige Rolle in einer Low-Budget-Produktion.

Rashidi spricht fließend Farsi

Narges Rashidi ist auf so etwas nicht angewiesen. Auch in ihrem nächsten Film „Under the Shadow“, einer britischen Produktion, spielt sie die Hauptrolle, eine Frau, die während des Iran-Irak-Kriegs den Verstand zu verlieren droht. Gedreht wird auf Farsi, das Rashidi fließend spricht.

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Seit Wochen bereitet sie sich dafür vor, vertieft sich in die Vergangenheit des Iran und in ihre eigene. Vor dem Mittagessen war sie in einer Fotoausstellung von Exil-Iranern. Viele Bilder zeigen den Alltag im Krieg. Auf einem 80er-Jahre-Schnappschuss springen spielende Kinder eine Treppe hinunter. Bilder, die ihre eigene Kindheit spiegeln. „Wir Kinder haben trotzdem gespielt damals. Wenn was passierte, hieß es einfach ,ach Mensch, da fallen ja wieder Bomben, lass mal runtergehen‘“. Es schockiert sie heute selbst, wie schnell der Horror zur Normalität werden kann. Sie sucht nach den Spuren, die so ein Leben bei Kindern hinterlässt, die sie bei ihr selbst hinterlassen haben.

Der Iran sei ihre Herkunft, sagt sie, aber Deutschland ihre Heimat. „Migrationshintergrund“ sei ein Unwort. Sie sieht sich als „Deutsche, mit anderen Wurzeln“. „Frauen mit Migrationshintergrund“ mag sie daher nur spielen, wenn die Geschichte gut ist. Einmal bot man ihr die Rolle einer türkischen Putzfrau mit Kopftuch an, sie hat sie abgelehnt. Zu flach, zu viel Klischee.

In Bad Hersfeld war es egal, woher sie kam. „Da war ich halt die Narges.“ In Berlin, auf einem Casting vor zehn Jahren, da sagte man ihr mal, sie sei „zu ethnisch für die Rolle“. Damals tat das weh. Seitdem habe sich aber viel getan, vieles sei besser geworden, sagt sie. Das sehe man auch am Erfolg von Kollegen wie Sibel Kekilli und Elias M. Barek. In US-Produktionen sorgen schon seit Längerem sogenannte Diversity-Auflagen dafür, dass „bunt“ besetzt wird. Klischee-Rollen gibt es natürlich trotzdem.

Bei „Homeland“ würde sie nicht ablehnen

Rashidis guter Freund Navid Negahban spielt den Terroristen Abu Nazir in der Erfolgsserie „Homeland”. Wenn es für die Geschichte wichtig ist, woher der Mensch kommt, habe sie auch kein Problem damit, solche Rollen zu spielen. Bei „Homeland“ würde auch sie nicht ablehnen.

Die Islam-Debatte in Deutschland verfolgt sie mit Sorge. Sie selbst ist weltoffen erzogen worden. „Meine Eltern haben mir beigebracht, respektvoll allen Religionen und Kulturen gegenüber zu sein. Meine Religion ist die Freiheit, leben und leben lassen.“ In den USA sei die Debatte weniger stark, obwohl auch hier das Misstrauen gegenüber dem Islam wachse. Rashidi selbst bekommt das allerdings nicht zu spüren. Nur ihr Vorname, der bereitet den Amerikanern manchmal Probleme.

Er bedeutet Frühlingsblume – am 21. März hat sie ihren 35. Geburtstag gefeiert. Wenn bei Starbucks die Bedienung ihren Namen auf den Pappbecher schreiben will und ihn mal wieder nicht versteht, sagt sie, „just write Linda“.

Im Café „Gratitude“ will der Kellner jetzt wissen, was sie noch wünscht: „What do you wish for?“

Gute Frage eigentlich. Narges Rashidi muss nicht lange nachdenken. „Interessante Rollen“, sagt sie „und Geschichten, an denen ich wachsen kann.“

Dann wendet sie sich zum Kellner und bittet um die Rechnung.

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Author: Reed Wilderman

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Job: Technology Engineer

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